Warum wir in Panama übersommert haben? Dieses Gebiet gilt allgemein als „hurrikanfreie Zone“. Die Segler wissen es, die Versicherungen berücksichtigen es, die Literatur beschreibt es. Davon sollte eigentlich auch Wirbelsturm „Otto“ gehört haben, er kommt ja aus der Strumbranche. Irgendwie hat er es dennoch geschafft, an der karibischen Seite des Isthmus das Licht der Welt zu erblicken – um es gleich darauf zu verdunkeln…

Für uns begann alles mit einer seltsamen Wettervorhersage. So ein Wind, so nahe an der Küste? Wenn wir nicht wüssten, dass es höchst unwahrscheinlich ist, könnte man aus der Wetterkarte einen entstehenden Hurrikan herauslesen. Wird uns wohl nicht betreffen, laut Prognose zieht das Phänomen nach Nordwesten ab. Na ja, man kann ja mal zu Sicherheit ein paar Meter mehr Ankerkette rauslassen und das Deck sturmfest machen. Roman und Alex, unsere Nachbarn, zurren noch ein gestrandetes Wrack an Bäumen fest, es soll sich lieber nicht unkontrolliert losreißen, ist sicherer für alle. Gute Idee.
Es war schon den ganzen Tag windig. Dazu noch aus ungewohnter, südwestlicher Richtung. Der Abend versprach ähnlich zu verlaufen. Nein, er übertraf sogar sein Versprechen: Das Barometer sinkt um 10 mbar, Wind und Regen werden zum Sturm. Und dieser legt zu. Und zu. Und zu. Der Sturm wird Hurrikan und bleibt, entgegen aller Erwartungen, nur ein paar Meilen vor unserer Küste stehen. Um sich dann nach Süden zu bewegen, zu uns, entgegen aller Prognosen! Glücklicherweise haben wir zurzeit keinen Windmesser. Da ist es leichter, frei von Panik zu bleiben. Böen von 55 Knoten (über 100km/h) sind auf See unangenehm, in einem engen Ankerfeld schreit es förmlich nach Schwierigkeiten. Nicht Wind und Welle, sondern ausbrechende Boote stellen hier das größte Risiko dar.



Es dauert nur kurz, bis backbord ein Katamaran an uns herandriftet, gefährlich nahe, doch gerade noch genug Abstand. Auf unserer Steuerbordseite rutscht ein Einrumfboot Zentimeter für Zentimeter auf uns zu. So langsam, dass wir uns lange nicht sicher sind, ob wir uns täuschen. Ein paar Stunden später ist es da; sehr, nein zu nahe. Wir geben Ankerkette nach, das Boot verfolgt uns, Stunde um Stunde, Zentimeter für Zentimeter. Liegt seine Kette über unserer? Hat sich sein Anker darin verfangen? Könnten wir überhaupt den Anker heben oder würden wir gemeinsam stranden? Hinter uns bricht die Muring am Boot zweier älterer Frauen. Eine lächerlich dünne Sicherheitsleine hält ihr Schiff noch querab zum Wind. Ob das gutgeht? Es muss, wir können den beiden nicht helfen. Unser Außenborder wäre zu schwach, uns wieder zurück auf unser Boot zu bringen.
Die Muring von anderen Freunden bricht. Zu allem Überfluss haben sie keine Anker an Bord (alle Anker in die Werkstatt gebracht, zum galvanisieren). Andere Boote helfen mit Ankern aus – welche ebenfalls rutschen. Mit Motorkraft halten unsere Freunde ihren Kat an Ort und Stelle, über viele Stunden lang. Ringsum driften weitere Boote, verhaken sich, legen sich zur Seite auf die Sandbank, als ob sie schlafen wollten. Der Kat auf unserer Backbordseite reisst sich los und strandet vor unseren Augen.
Endlich, es wird hell! Der Sturm hält an. Wir sind müde, matt, aber gesund. Zumindest sehen wir jetzt die Wrackteile und Baumstämme im Wasser, können handeln. Eine Crew mit starkem Beibootmotor hilft den beiden Frauen hinter uns mit der Muring, ihr Boot bekommt die Nase wieder im Wind.

Unsere Bedrohung, das Einrumpfboot, schliert wieder näher. Aber zu zweit ankerauf gehen, mit manueller Ankerwinsch, bei 40+ Knoten Wind, möglicherweise mit Kettensalat? Sehr riskant. Wir geben Kette bis zum letzten Millimeter, 60 Meter sind raus. Es ist bereits Nachmittag, die Zeit zu Handeln ist gekommen. Bevor es wieder dunkel wird. Zwei gute Geister, Jaque von SY Panache und Matthias von SY Matilda kommen angebraust. Jaque drückt die drohende Yacht mit dem starken Dinghy zur Seite, Matthias hilft mit der Ankerkette, Gunther am Steuer, Gerlinde überall zwischen Ankerwinsch und Steuerstand. Gerade jetzt nimmt der Sturm wieder zu, die Regentropfen schmerzen auf der Haut. Wir haben Glück, die Kette liegt frei und unser Motor ist stark genug, gegen den Wind zu fahren und umzuankern. Mit massiven Gasstößen lässt sich Muozas Bug im Wind halten, ein neuer Ankerplatz finden. Es klappt, wir liegen wieder frei. Unser Bügelanker hält traditionell bombig. Wie zuvor, nur ohne rutschende Nachbarn.

Noch ein paar Stunden Wetter, Boote und deren Positionen beobachten, dann verlässt uns alle Energie. Wir fallen in komatösen Schlaf, müssen unserem Anker vertrauen. Die Boote, die sich bis jetzt nicht losgerissen haben, werden wohl weiterhin halten. Sie müssen einfach. Nach etwa 40 Stunden wird ein Ende absehbar, auch wenn immer wieder Böen durch die Bucht fegen.
Es ist geschafft. Wir wissen es. Sind wie verkatert. Erlöst und erschöpft. Fühlt sich an wie eine überstandenen Diplomprüfung während einer anstrengenden Skitour mit Jetlag und anschließendem Saufgelage. Oder so ähnlich. Uns ist zum Feiern – und zum Weiterschlafen.


Über Funk erfahren wir über Schäden in der Umgebung. Rundum ist Strom, Telefon und Internet ausgefallen. Viele Küstengebiete und Ortschaften überschwemmt. Unzählige Bäumen sind umgestürzt, die gesamte Verbindung zur Costa Arriba ist zigfach verlegt, unpassierbar. Ganz zu schweigen von kleinen Wegen und Zufahrten. In San Blas mussten Kuna Dule von den Inseln evakuiert werden, zum Schutz vor den Wellen. Im nahen Portobelo ist nur ein einziges Schiff nicht gerutscht, es wurde von Windgeschwindigkeiten bis zu 90 Knoten, rund 175 km/h berichtet. Da die Bucht nach Westen offen ist, wurden 19 Boote an Land gespült und/oder beschädigt. Viele davon schwer, zwei sind gesunken. Keine Todesopfer zu beklagen, was für ein Glück.


Wir waren Zeugen der Geburt eines Hurrikans, Stufe 1, später Stufe 2. Wir waren nur am Rand des Sturms, nicht mittendrin. Notiz an die Zukunft: Bitte Erspare uns zu erleben, was sich in einem noch stärkeren Sturm abspielt. Und vielen Dank an unsere Helfer und unser großes Glück.
UFFFF…!! Trotzdem: Herzlichen Glückwunsch für das Überstehen! Es gibt eben keine „Garantie“ auf dieser Welt! Nicht einmal für das traditionelle Wetter! Alles immer und überall verrückter!
Haltet die Ohren steif und das Herz warm!
Beste Grüße und Wünsche aus Austriakistan!
HR
Lieben Dank, machen wir – und du bitte auch!
Meine Güte! Das klingt heftig. Bin froh, dass ihr ok seid. Ich hab mal was Ähnliches an der Adria auf offenem Meer erlebt (zu zweit in einem kleinen Kajütschiff, Länge ca. 7 Meter). Es war kein Hurrikan aber orkanartig. Wir mussten das Schiff von Lignano nach Grado überstellen. Na ja, so 9 Beaufort werden es schon gewesen sein. Überflüssig zu sagen, dass wir die Überstellung in Rekordzeit schafften. Hauptsache aber war, ohne zu kentern. Hätte ich keinen erfahrenen Seebären (er Steuermann, ich Vorschoter) an meiner Seite gehabt, weiß ich wirklich nicht, ob ich hier sitzen würde. Von dem her habe ich eine leise Ahnung, was ihr hinter euch habt. Hab richtig gebibbert beim Lesen. Ahoi ihr beiden, Mast-und Schottbruch!!! Bei uns nix Schwimmwetter. Von den Bergen lacht es schon weiß und in der Nacht hat es anständig geforen. Wintergrüße aus Zirl (Tirol)
Mamma mia! Das klingt heftig. Ich hab mal was Ähnliches an der Adria auf offenem Meer erlebt (zu zweit in einem kleinen Kajütschiff, Länge ca. 7 Meter). Es war kein Hurrikan aber orkanartig. Wir mussten das Schiff von Lignano nach Grado überstellen. Na ja, so 9 Beaufort werden es schon gewesen sein. Überflüssig zu sagen, dass wir die Überstellung in Rekordzeit schafften. Hauptsache aber war, ohne zu kentern. Hätte ich keinen erfahrenen Seebären (er Steuermann, ich Vorschoter) an meiner Seite gehabt, weiß ich wirklich nicht, ob ich hier sitzen würde. Von dem her habe ich eine leise Ahnung, was ihr hinter euch habt. Hab richtig gebibbert beim Lesen. Ahoi ihr beiden, Mast-und Schottbruch!!! Bei uns nix Schwimmwetter. Von den Bergen lacht es schon weiß und in der Nacht hat es anständig geforen. Wintergrüße aus Zirl (Tirol)
Wussten gar nichts von deiner Segelkarriere, wow! Dann steht einem Urlaub bei uns ja eigentlich nix mehr im Wege! 🙂
Bin froh dass Ihr zwei Gesund wenn auch vielleicht nicht so richtig Munter seid. Passt weiterhin gut auf auf euch. Lg aus Telfs
Brigitte! Danke für’s Mitfiebern! Liebe Grüße an dich uns alle Delfine!!!
Wow !
Wir dachten das wir ein Risiko eingehen, wenn wir in der Hurrikan-Zeit nach Providencia segeln .
In diesem Fall hatten wir Glück einige Wochen vorher Panama zu verlassen.
Gott sei Dank ist alles gut gegangen !
Lg. vom Rio Dulce
Enrico,Birgit &Sanna
Schön, dass bei euch alles gut gegangen ist. Haben den Schreck schon verdaut und die Eindrücke unter „besondere Erlebnisse“ positiv abgespeichert…