Zwei Jahre ist es bereits her, dass wir eingestiegen sind: In ein abenteuerliches Leben auf einem Segelboot, auf der Jagd nach Erlebnissen, Begegnungen, Erkenntnissen, Kooperationen – auf der Suche nach der gewonnenen Zeit. Wie fällt sie aus, die Ernte des Jahres Nummer zwei? Was können wir für uns verbuchen, wie konnten wir unser neues Leben anreichern?

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Zeitwärts ist zwei, die Admiralität bleibt jung und schneidet ihren Geburtstagskuchen an

Ein Ziel, das wir nicht nach außen trugen, ist geschafft: Herauszufinden, ob wir uns zwei Jahre über Wasser halten können – und Freude daran haben. An mehr war vorerst nicht zu denken. Und ja: Wir haben es offensichtlich geschafft! Und nein: Es ist derzeit noch kein Ende in Sicht. Wir haben nach wie vor Lust, unserem Kielwasser weiter hinterher zu schauen.

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Diese Hürden nehmen wir gerne: Dschungelfluss Rio Azucar

An diesem Erfolg sind viele Menschen, sowie ein Geist (!) beteiligt. Unerwartet viele Mitsegler und Freunde haben uns unterstützt; teilten mit uns Boot, Natur, Kultur, Essen & Trinken, Gedanken und vor allem: Wertvolle Zeit.

Der angesprochene Geist ist – wie könnte es anders sein – der Zeitgeist. In einer Phase globaler Veränderung, Verunsicherung und Beschleunigung versorgt er uns mit Rückenwind. Menschen gehen auf uns zu, ermutigen uns, interessieren sich für unseren Weg, nehmen aktiv oder passiv teil. Mut zum Aufbruch ist ansteckend: Gerade erfuhren wir, dass sich ein Segler durch unseren Blog zu seiner großen Reise inspirieren ließ; einige unserer Besucher machen sich schon bereit für ihren Weg auf eigenem Kiel. Darüber hinaus dürfen wir Artikel für die Yachtrevue verfassen, unsere Erfahrungen mit einem großen Publikum teilen. Eine große Ehre, wirklich wahr.

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Diagnose: Mit Fernweh infiziert

Bei all diesem Auftrieb hatten wir auch mit Ballast umzugehen.

  • Im Zusammenleben zu zweit und mit Anderen haben wir Fehler gemacht, uns in Endlosschleifen verfangen, aber auch gelernt. Wir werden fleißig weiter Fehler machen, weiter lernen, versprochen.
  • Ein Blitzeinschlag hat uns schweren materiellen Schaden zugefügt, an dessen Folgen wir immer noch knabbern. Aber wir haben damit auch gelernt umzugehen, Lösungen zu finden.
  • Auf dem Hartstand in der Marina hatten wir sprichwörtlich einen harten Stand. Unter Zeitdruck auf einer winzigen Baustelle zu arbeiten, zu leben, zu kochen, zu schlafen, mit Moskitos und mangelhaften sanitären Anlagen zu kämpfen, zeigt einem rasch die persönlichen Grenzen auf.
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    Vorher: Antifouling wirkt nicht mehr, Seeventile und Wellenlager wollen getauscht werden
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    Cockpittisch bekommt neuen Lack spendiert. Noch lachen wir.
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    Rundum giftiger Antifoulingstaub. Besonders wenn man unter dem Boot liegt und schleift.
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    Chaos, Schmutz und Moskitos: Überleben auf der Baustelle, das Lachen bleibt uns manchmal im Halse stecken.
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    Moral auf dem Trockenen: Danke für die vielfache Hilfe von außen 🙂

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    Muoza strahlt wieder. Auch der blaue Wasserpass besteht aus Antifouling, eine Innovation

Und doch zogen wir einen Hauptgewinn. Er erinnert uns an gute, alte Zeiten und manifestiert sich – was für ein Glück – in guten, neuen Zeiten. Unser Vorsatz, wo immer möglich, auf andere Menschen zuzugehen, ist voll aufgegangen. Unser größter Schatz sind unsere Nachbarn: Ob arm oder reich, rechts oder links, Kanadierin oder Indio, Boot oder Palmenhütte. Kurz ins Dingi gesetzt, vorbeigetuckert, hallo gesagt. Auf offene Türen und Relings getroffen, Einladungen ausgesprochen, Freundschaften geerntet. Man kann nur gewinnen. Weitere Beispiele für gute Nachbarschaft? Bitte sehr:

  • Ein beliebter Rahmen für Begegnungen sind „Pot-Luck-Dinner“: Man trifft sich auf einem Boot oder am Strand, jeder nimmt Essen und Getränke mit. Was aufgetischt wird, ist für alle da – die kulinarische Zusammenstellung immer eine Überraschung. So wird mit beliebig vielen Teilnehmern gefeiert, ohne die wertvollen Vorräte eines einzelnen Bootes zu plündern.
  • Die tägliche Funkrunde: Man hilft einander in allen Fragen des Alltags, bis hin zu Würgeschlangen, die es an Bord geschafft haben. Technische und medizinische Unterstützung ist selbstverständlich. Auch der Tratsch darf nicht fehlen, wie in einem Dorf.
  • Wo lassen wir unsere Muoza, wenn wir mal an ein paar Tage, Wochen oder gar Monate an Land müssen? Einfach vor Anker, man hilft einander mit „Bootsitting“. Der Zündschlüssel bleibt stecken. Das Risiko, dass dein Boot geklaut wird, ist minimal – die Chance, dass jemand dein driftendes Boot rettet, sehr hoch. Wer vom Land zurückkommt, beliefert Boatsitter & Co mit Einkäufen. Ehrensache.
  • In abgelegenen Gegenden gibt es keine Müllabfuhr, Einheimische werfen ihren Unrat oft einfach ins Meer. Da verbrennt man Kunststoff und Papier lieber selbst an Land. Bevor man sein Feuerchen anzündet…eine Runde durchs Ankerfeld gedreht, den Abfall der Anderen mitgenommen. Oder man organisiert eine „Trashburning-Party“: Jeder bringt seinen Müll und ein Getränk mit zur Feuerstelle; spricht miteinander, lernt sich kennen.
  • Man holt sich zum Schnorcheln ab, zeigt einander die schönsten Riffe, die besten Plätze zum Fischen. Funk gerade kaputt, weil z.B. der Blitz gerade eingeschlagen hat? Egal, dann wird man eben ungefragt abgeholt.
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    Pizza Party auf „Eileen Farrell“, einem umgebauten Shrimpkutter
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    Potluck Party mit fünf österreichischen Yachten plus einem „Quotenschweizer“

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    Praktisch und Nachhaltig: Sandspülbecken „Vereinigte Ozeane“

Irgendwie erinnert uns das an die Nachbarschaftshilfe zur Zeit unserer Kindheit in den 70ern. Heute zückt man oft lieber einen Geldschein, will „niemandem etwas schuldig sein“, verabschiedet seine Helfer auf Nimmerwiedersehen. Statt sich ruhig auch mal auf Verbindlichkeiten einzulassen. Und diese Schulden später – gerne auch an Andere – zurückzugeben. Zur Nachahmung und Weiterentwicklung empfohlen, erstaunliche Nebenwirkungen garantiert.

Eben segelten wir nach Puerto Lindo und stellten überrascht fest, dass wir im Ankerfeld einen großen Teil der Crews kennen, schätzen, mögen. Unsere Einfahrt war ein einziges Winken und Rufen, sehr berührend. Wir brauchten mehrere Tage um bei allen nur mal kurz vorbeizuschauen. Haben wir etwa irgendetwas richtig gemacht? Das Jahr Nr. 3 fängt schon mal vielversprechend an. Wie in guten neuen Zeiten, eben.

An dieser Stelle unsere wärmste Wertschätzung an alle lieben Menschen, Weggefährten, Unterstützer, Mitfiebernde zu Hause und unterwegs: Ohne euch wären wir keinen Millimeter weiter gekommen. Fühlt euch ruhig betroffen, ihr wisst ganz genau wer gemeint ist…!

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Ankernachbarn in den Cayos Hollandés

 

 

Kommentare

  1. Herminio Redondo

    Soeben neues Exemplar erhalten – noch nicht gelesen!
    Trotzdem, danke im voraus! Melde mich bald wieder! AHOI!

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  2. Hallo Gerlinde, hallo Gunther,

    Wirklich tolle Geschichte, die echt zum Nachmachen anregt. Ich wünsche euch noch viel großartige Zeit und wundervolle Erlebnisse und immer eine Hand breit Wasser unter dem Kiel

    Mast und Schotbruch aus Wien

    Wolfgang

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  3. Unglaublich schön wieder von euch zu lesen und zu hören dass ihr noch auf dem richtigen Kurs im Leben seid. Ich schwärme ja nach über einem Jahr immer noch von der Zeit auf der Muoza mit euch.. Hach.. 🙂 Wie immer super geschrieben!!

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  4. Ahoy!
    Vielen Dank dafür, dass Ihr nicht nur stellvertretend die Reise übernehmt, sondern auch die erfrischenden und erhellenden Kommentare dazu ins Netz stellt. Auf das sich auch andere infizieren, mit Respekt und Anteilnahme.
    Ihr seid super 🙂

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  5. Bei mir hat gerade wieder die Weihnachtskonzert-Saison begonnen, und auf eurem Blog sehe ich Potluck Parties unter Palmen. Welch ein Kontrast. Übrigens guat schauts aus es zwoa :o) Liebe Grüße aus Zirl (Tirol)

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