Bis hierher nach Kuna Yala dringen die Nachrichten aus Europa – das Internet macht es unvermeidlich. Die Zeiten, in denen man fern von Europa auch fern der heimatlichen Probleme ist, gibt es nicht mehr. So wissen wir natürlich Bescheid über die Herbergsuche von Flüchtlingen und Schwierigkeiten der Integration in Österreich.

Dies erinnert uns an ein Thema, das uns schon seit Beginn unserer Reise beschäftigt, manchmal aufwühlt: Wir leben ja gewissermaßen ebenfalls im Exil. Begegnen vielen Langfahrern und andere Reisenden, die auch nach Jahren in der Ferne nicht in der Lage sind, ihre Perspektive, ihr Verhalten, an die Gastgeber in fremden Ländern anzupassen. Wir Segler verhalten uns oft auch nicht klüger als andere Menschen, die in unsere Heimat kommen. Im Gegenteil. Die Widersprüche sind so eklatant, so peinlich, dass es manchmal schwer zu ertragen ist.

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Es gibt sie noch: Moderne Kreuzfahrer

Touristen suchen Plätze an denen es keine Touristen gibt. Außer ihnen selbst – den Touristen. Infrastruktur auf westlichem Standard sollte schon vorhanden sein. Zumindest ein günstiges Restaurant mit gutem, einheimischen Essen – das so schmeckt wie daheim. Und bitte schnelles, kostenloses Internet, wohlsortierte Geschäfte, billigste Dienstleistungen auf hohem Niveau, in europäischer Sprache. Die Einheimischen mögen folkloristisch gekleidet sein, mit Baströckchen barbusig herumlaufen, sich über Bezahlung durch halb kaputte Gebrauchtwaren freuen. Und sich gefälligst dankbar zeigen.

Kuna Indianer sind so wunderbar anzusehen in ihren Einbäumen, auf ihren Inseln, in den Hängematten, bei der Arbeit mit Fischernetz, Speer und Machete. Aber wenn sie als Menschen mit Bedürfnissen oder gar eigenem Willen auftreten, wird es schon eher unangenehm. Da wäre es schön, wenn sie sich gleich wieder vom Acker machen. Auf Fototapetendistanz bleiben und von Weitem freundlich winken.

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Gastgeberinnen, wie wir sie uns wünschen. (Foto: Steffen Schlegel)

Von ehemaligen Unternehmern und Topverdienern unter Segeln hört man wiederholt Beschwerden über „Asylanten, illegale Einwanderer und Sozialschmarotzer, die in Europa von unseren Steuergeldern leben“. Wenn man nachfragt, wie es denn möglich sei, dass ein erfolgreicher Unternehmer, der sein hohes Einkommen stets brav versteuert hat, nach lebenslanger Arbeit nur eine minimale Pension bekommt, aber auf einer Luxusyacht lebt…dann macht sich leichte Verstimmung breit. Hat er etwa nicht alles korrekt versteuert, gar auf Kosten Anderer gelebt? Wenn man weiterbohrt, fragt, wann die Person das letzte Mal im Gastland eine voll versteuerte Dienstleistung eines einheimischen Unternehmens in Anspruch genommen hat, wann sie das letzte mal in Europa Steuern gezahlt hat, warum sie immer wieder Länder illegal (ohne offiziell einzuklarieren) bereist – und wie das mit der eigenen Kritik vereinbar ist – dann muss man hoffen, in der Runde die Lacher auf seiner Seite zu haben – oder man sucht unauffällig das Weite.

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Wer in neue Welten eintaucht…

Segler, die außer Müll und kaputten Korallen nicht viel in Kuna Yala zurücklassen, gibt es immer wieder. Sie ankern monate-, jahrelang im Indiogebiet. Klauen mit größter Selbstverständlichkeit Kokosnüsse von den Inseln. Beschweren sich über jeden Betrag, der ihnen verrechnet wird. Brechen ihnen wohlbekannte Regeln. Verhalten sich, als ob das Land ihnen gehören würde. Wenn sie wenigstens sonst etwas beitragen würden: Ideen, Mithilfe, Inspiration, Freundlichkeit, Essen, Werkzeug, Humor, irgendwas. Nein, man bleibt lieber unter sich, verweigert, die bewohnte Nachbarinsel zu betreten. Man will keinesfalls 2 Dollar für den Inselaufenthalt bezahlen, sondern den Anfängen wehren. Dass daheim jeder Waldparkplatz 3 Euro und mehr kostet – ist doch selbstverständlich. Aber eben auch ganz etwas anderes….

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…sollte sich in Achtsamkeit üben.

Dabei hat uns niemand eingeladen, hierher zu kommen. Angenommen, eine Gruppe Indios wohnt jahrelang in luxuriösen Wohnmobilen vor einem Anwesen in Europa, klaut Früchte aus dem Garten, sobald die Bewohner das Haus verlassen, verweigert sich dauerhaft der Integration, beantwortet Gesetze durch arrogante Nichtbeachtung – was würde man für Worte für sie finden, wie würde man mit ihnen umgehen? Sicher weniger kulant als die Kuna mit uns Seglern in Kuna Yala.

Warum reisen Menschen in Länder, in denen es vor „dummen Einheimischen“ nur so wimmelt, in Länder mit „naiven Indios und Farbigen“, die „allesamt lernresistent sind und es niemals auf die Reihe bringen werden“? Wo es keine Zuverlässigkeit gibt, keine Qualität, dafür Räuber und Müßiggänger? Warum tut man sich das an, wenn doch daheim alles so wunderbar und geordnet ist? Warum bleibt man nicht zu Hause – oder kehrt um, nachdem man erkannt hat, dass die Ferne überraschender Weise so unterentwickelt ist?

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Izianet, unser „Patenkind“…
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…und ihre Mutter Rudelinde zu Besuch auf der Muoza.

Unterscheiden sich die Sitten und Gebräuche vielleicht doch nicht so sehr von den unseren? Wir stellen fest, dass sich bislang noch jeder Mensch über eine nett ausgesprochene Einladung gefreut und sie gerne angenommen hat. Die Antwort lässt oft nicht lange auf sich warten: Sei es eine frisch gebackene Brotfrucht, ein freudiges Winken im Vorbeifahren, eine Empfehlung, ein ungefragter Gefallen. Mittlerweile sind wir sogar stolze „Paten“ eines 12-jährigen Kuna-Mädchens, das sich überlegt, was es uns als Geschenk mitgeben könnte. Wir kommen als Gäste, strecken unsere Hände aus, soweit es unsere Möglichkeiten zulassen – und die Hände werden zurückgereicht. Wer ein Lächeln, ein Zwinkern austeilt, bekommt es zurück. So einfach ist das. Eigentlich. Selbst wenn wir die Langusten der Verkäufer nicht kaufen wollen, bedanken wir uns für den Service. Fragen, ob wir mit einem Schluck Wasser und ein paar Keksen aushelfen können. „Don´t touch my boat“ scheint uns doch eine etwas unpassende Antwort auf ein Angebot zu sein. Selbst dem ungepflegen „Rastaman“ in Jamaica bieten wir etwas an, kaufen ihm etwas ab. Er ist viel länger hier als wir, hat ältere Rechte. Es ist seine Bucht, nicht unsere. Da wollen wir doch lieber freundlich bleiben. Und eine Einladung auf einen Kaffee oder ein Bier hat noch niemandem weh getan. Interessant: Obwohl die tropischen Wälder doch so anders sind als bei uns zu Hause, so schallt es auch aus dem Regenwald so zurück, wie man hineinruft. Ein akustisch-biologisch-soziales Phänomen, das man tiefer erforschen sollte…

Natürlich gibt es überall Abzocker, Betrüger, Diebe. Eben: Überall! Die hoch interessante Arbeit des Biomathematikers Martin Nowak belegt, dass in jeglicher Gesellschaft ein ähnlich hoher Anteil „defektiert“, d.h. sich unkooperativ verhält, die Regeln bricht, Kooperation ausnützt. Sogar bei Fischen und anderen Tierarten ist das so. Als Tourist kommt man leicht mit solch Exemplaren unserer Spezies in Kontakt.

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Ganz normal: Nicht alle Individuen sind freundlich!

Na und? Das soll uns nicht daran hindern, nach kooperativen Menschen Ausschau zu halten, mit ihnen eine gute, gemeinsame Zeit zu verbringen. Eigentlich eine einfache Aufgabe, denn immer noch bildet diese Gruppe die überwiegende Mehrheit – egal, ob innerhalb der lokalen Bevölkerung oder unter Seglern. Das darf man bei aller Kritik nicht übersehen. Ein einzelner Baum der fällt, macht mehr Krach als ein ganzer Wald, der wächst: Wie oft ergeben sich ermutigende Gespräche mit Einheimischen, die freundlich, wissbegierig und offen sind, über den Tellerrand blicken, ein echtes Vorbild sind! Viele Langfahrer bemühen sich um ein gutes Einverständnis mit der Bevölkerung, teilen was sie erübrigen können, starten Gesundheits-, Bildungs-, Ernährungs-, und Umweltprojekte.

Gerade im Advent wollen wir uns als segelnde Herbergs- und Ankerplatzsucher bemühen, unseren Gastgebern entgegenzukommen, ihnen für ihre Toleranz etwas zurückzugeben. Und wenn es nur eine Geste ist.

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Begegnung auf Augenhöhe macht Freunde (Foto: Steffen Schlegel)

 

Kommentare

  1. sehr interessanter und nachdenklich machender Log-Buch-Eintrag. Die Probleme in Europa sind mittlertweile wirklich sehr groß und niemand weiß, wie das weitergehen soll. Ich wünsche Euch jedenfalls ein frohes Weihnachtsfest sowie ein gutes und vor allem gesundes neues Jahr mit vielen interessanten Erlebnissen auf Eurer Reise

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      • Christian

        Wenn doch alle die Welt in der Art sehen könnten, wie ihr es tut… Wieviel freudvoller wäre dieser Planet! Wie einfach die friedvolle Koexistenz mit einem reinen Herzen doch ist, wenn nicht Angst sondern Respekt und Neugierde uns leiten. Ihr seid wie ein Leuchtfeuer der Menschlichkeit – im besten Sinne.

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  2. Oliver Jeran

    Hallo ihr 2,
    vielen lieben Dank für den Bericht, ihr sprecht mir aus der Seele. Und ihr trefft den Nagel auf den Kopf! Ich bin mit meiner Frau gerade in Thailand, wo wir uns ja Land (ohne Haus oder Strom) gekauft haben. Wir gehen es einfach an – nachts in einem Zelt, tagsüber zum Rasten haben wir eine winzige, offene Bambushütte. Wir sind hier im Norden beide Neuankömmlinge, ich quasi ein Flüchtling. Die einfachen Bauern in der Gegend kennen Weiße hauptsächlich als Touristen (auch wenn sich nur wenige hierher verirren), und die paar, die hier leben, haben vergleichsweise viel Geld zur Verfügung und werden als „High Society“ betrachtet. So wurden wir anfangs sehr zurückhaltend, aber immer sehr freundlich aufgenommen.

    Mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass wir allen Menschen immer höflich und respektvoll begegnen, immer ein Lächeln übrig haben, gerne den hart arbeitenden Bauern Wasser, Cola, Red Bull (!) anbieten oder sie auch zum Essen einladen, auch mal selbst anpacken, wenn der Reis zu verladen ist. Und was wir zurückbekommen ist unbezahlbar! Hilfe ist da, wann immer wir was brauchen, oft bringt man uns Essen vorbei, einfach so, man scherzt und lacht mit uns – wir werden ebenso mit Respekt behandelt. Mit Demut erkennen wir, wie einfach Glück zu bekommen ist: du kannst es nur selbst machen…

    Alles Liebe und Gute auf eurer Reise!

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    • Lieber Oliver, danke für deine Rückmeldung! Schön, dass du ebensolche Erfahrungen machst und mit uns teilst. Lass und in Kontakt bleiben – und wenn wir es in unserem Boot je nach Asien schaffen sollten (finanziell fast unmöglich), werden wir mal bei euch im Gebirge den Anker werfen, wenn wir dürfen! 😉

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      • Oliver Jeran

        Hi Gunther, ihr seid immer herzlich willkommen! allerdings muss ich dich warnen: das Wasser unterm Kiel könnte hier knapp werden…

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  3. Sehr schöner Eintrag, den Ihr geschrieben habt! Schöne Weihnachten und natürlich immer eine Handvoll…

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  4. Wunderbar euren Beitrag zu lesen. Er trifft den Nagel auf den Kopf und spricht uns aus der Seele. Wir können nur bestätigen, daß es sich lohnt, jeden so zu behandeln und anzunehmen, wie man es sich selbst wünscht. Wir wünschen euch wunderschöne Festtage und alles erdenklich Gute für das neue Jahr! Fair Winds Barbara und Manfred

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    • Liebe Barbara, lieber Manfred! Schön, dass ihr auch so denkt: Wir sind zum Glück immer noch die Mehrheit…! 🙂

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  5. hallo ihr beiden
    toller beitrag!! eigentlich wäre es ja ganz einfach …. und man muss nicht einmal in die karibik fahren. es reichct schon ein chartertörn in kroatien oder griechenland, um solches zu erleben
    leider lesen wahrscheinlich ‚die falschen‘ diesen blog. dieser text würde gut in ein editorial einer ‚yacht‘ oder im TO-magazin passen
    weiterhin alles gute

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    • Wow, das geht runter wie Öl! 🙂 Wir denken, es sind schon die Richtigen, die das lesen. Auch unter den „Kritisierten“ gibt es einige, die wir trotzdem gerne mögen und diesen Blog lesen. Editorial wäre cool – zumindest hat die österreichische „Yachtrevue“ unseren Beitrag auf Facebook geteilt, was uns sehr ehrt. 🙂

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  6. Caroline Klopfenstein

    Hallo ihr beiden, gut geschrieben und schön zu hören, dass auch ihr diese Einstellung habt. Diese Erfahrungen auf der Petite Fleur, ich möchte sie nicht missen, machen mich oft sehr nachdenklich, gerade in der heutigen Zeit der grossen Flüchtlingsströme und Diskussionen, aber das wichtigste ist, wie ihr schreibt, trotz allem Respekt, Freundlichkeit und Mitgefühl den anderen Menschen gegenüber zu haben, gleich welcher Hautfarbe sie sind und welcher Religion sie angehören. Und es ist wirklich so: wie man in den Wald ruft…. Selbst beim Autofahren spührt man diesen positiven Effekt, wenn man mit dieser Einstellung hinter dem Steuer sitzt. Macht weiter so und ich freue mich jedesmal, wenn ich einen Bericht von euch lese. Frohe Festtage in karibischer Manier, einen guten Start ins 2016 und viele schöne Momente und Zeit für Musse. Caroline

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    • Liebe Caroline, wenn du das schreibst, ist das für uns von besonderer Bedeutung. Vielen lieben Dank – und euch auch eine geruhsame Zeit! G&G

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  7. Lieber Gunther,
    du sprichst mir aus der Seele! Genauso ist es. Danke für diesen überfälligen Artikel.
    Liebe Grüße
    Steffi

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    • Steffi! Liebe Grüße nach Brasilien! Auf weitere wertvolle Begegnungen mit netten Weltbürgern!

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  8. Ein wirklich schöner Artikel. Zeitlos würde ich sagen. Diese Sichtweise ist bemerkenswert und wundervoll.
    Vor zwei Tagen habe ich euren Blog entdeckt und bin nun bis hierher mit euch gereist.
    Ich wünsche euch weiterhin eine wundervolle Zeit, egal wohin euch euer Leben treibt.
    Teilt weiterhin diese schönen Gedanken, Bilder und Eindrücke mit der Welt.
    Liebe Grüße aus Wien,
    Alex

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Antwort auf Steffi

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