Ein gutes Jahr ist es her, dass wir aufgebrochen sind zu unserem großen Abenteuer. Mit schweren Taschen und großen Erwartungen am Bahnhof gestanden, nach Martinique geflogen, Muoza erworben, vorbereitet, getestet. Eingelebt. Über die nördliche Karibik nach Panama gesegelt. Ließen uns vom Naturjuwel Dominica begeistern, auch von der Dominikanischen Republik, haben uns in Kuba verliebt, mit dem kolumbianischen Inselchen Providencia geflirtet. Sind in unserem ersten Traumziel San Blas gelandet. Haben in einem Jahr einen Rucksack voller Erfahrungen und Eindrücken bis an den Rand gefüllt, viele neue Freunde gefunden.

Zeit für unseren ersten Jahresrückblick. Wurden unsere Erwartungen erfüllt? Wo mussten wir dazulernen, unsere Ansichten anpassen? Würden wir das wieder machen?

Titel DPP_1205
November 2015: Stimmt der Kurs?

Unser ungewöhnliche Start in die Reise hat sich als goldrichtig erwiesen: Wir haben darauf verzichtet, zu Hause ein hochpreisiges Boot zu erwerben, jahrelang daran herzumzuarbeiten, zu investieren, teuer und aufwändig durch das Mittelmeer und über den Atlantik zu segeln.
Stattdessen haben wir in einer nur 5-monatigen Vorbereitungszeit ein seetüchtiges Schiff mit Langfahrtausstattung erworben, wie man es in Europa kaum bekommen kann. Haben unseren durchaus komplexen Lernprozess gleich im Zielgebiet begonnen. Und würden es wieder genau so machen. Zahlreiche Langfahrtsegler kommentieren unsere Vorgangsweise folgendermaßen: „Wenn ich noch einmal starten würde, mit all meiner Erfahrung von heute, würde ich es vollkommen anders machen. Nämlich genau so wie Ihr.“

Zugegeben: Viele Herausforderungen haben sich als schwieriger erwiesen als befürchtet. Und nicht alle erwarteten Highlights haben unsere Vorstellungen übertroffen. Vieles war einfach anders oder vollkommen unbekannt – wir waren gefordert. Beispiele? Bitte sehr:

  • Wir wussten, dass ein Boot viel Arbeit macht. Aber wie viele Umstände es macht, wenn man ein Boot fern von Europa, mit eingeschränkter technischer Versorgung warten muss – während man gleichzeitig darauf wohnt – das war dann doch ein wenig mehr als befürchtet. Segeln an sich ist ein untergeordnetes Thema unter Langfahrtseglern. Die wahre Herausforderung ist, das Boot in segelfertigem Zustand zu halten. Segeln ist nur das was folgt. Eine Notwendigkeit oder eine Belohnung – je nach Wetterbedingungen.

    Titel DPP_1212
    Kleine Aufgabe – große Auswirkung aufs Bordleben
  • Die Sorge, dass ein altes Boot mehr Reparaturen braucht als ein neues, hat sich als falsch erwiesen. Unsere 42-jährige Muoza, gut ausgestattet und gewartet, macht weniger Probleme als so manche Neuerwerbung. Wir würden uns wieder ein altes, starkes GfK-Boot kaufen, nix anderes.

    Titel DPP_1211
    42 Jahre auf dem Buckel – und tuckert wie eine frisch geölte Nähmaschine *klopfaufholz*
  • Gesundheit und Ernährung: Sich in einem von amerikanischen Futtermitteln dominierten Markt gesund ernähren? Bio? Fehlanzeige. Dafür Gentechnik garantiert. Beispiel Michprodukte: Alle wertvollen Inhaltsstoffe werden wörtlich abgesahnt, um sie durch künstliche Süßstoffe, Vitamine und sonstige Zusatzstoffe billigst „anzureichern“. Da muss man sich schon die Mühe machen, sich nach lokalen Märkten und Direktverkauf umzusehen.
    Auch Krankheiten und Verletzungen haben uns zu schaffen gemacht. Damit wird man aber auch daheim konfrontiert – und die medizinische Versorgung ist zu Hause oft auch nicht besser. Dafür fühlen wir uns insgesamt gesundheitlich sehr ausgewogen, ausgeschlafen, genießen Ruhe, frische Luft, Sonne, Meer, Tier- und Pflanzenwelt. Was sich ernährungstechnisch unterwegs entwickelt hat, ist ge(r)linde gesagt, interessant. So gehören mittlerweile selbstgemachte Brote, eingeweckte Kuchen, Kochbananenpuffer und die Nutzung eines hochinteressanten „Backringes“ zum leckeren Alltag.

    Titel DPP_1213
    Selbstgebackenes Brot im Einmachglas – so hält es länger.

    Titel DPP_1215
    Hier unser Zauberring – diesmal mit Bananenkuchen im Einweckglas
  • Zusammenleben als Paar auf ein paar Quadratmetern, 24 Stunden am Tag: Wer sagt, dass das einfach ist? Wir nicht! Natürlich haben wir Streit, die eigenen Hochs und Tiefs wirken sich am Anderen aus – an wem sonst? Immer wieder würde man am liebsten heimfahren ins einfache, bequeme Leben. Tröstlich: Egal welches Seglerpärchen man darauf anspricht – sie alle wissen, was wir meinen, lächelnd vielsagend…

    Titel DPP_1220
    Ritter der Kokosnuss – also alles ganz normal
  • Land und Leute lernt man auf andere Art kennen, als gedacht. Man muss schon aktiv auf die Menschen zugehen – vor allem, wenn man 200 Meter vor der Küste in einer Nussschale schaukelt. Wir konnten insbesondere beim Organisieren viel über die Menschen und ihre Lebensart erfahren. Wenn man eine Stadt nach einer bestimmten Schraube durchkämmt, lernt man sie aus neuen Blickwinkeln kennen. Natürlich kann man auch Entwicklungen beobachten, die einen zum Nachdenken oder gar Weitersegeln veranlassen. Meist würden wir jedoch noch gerne viel länger bleiben…

    Titel DPP_1217
    Wahlspruch des „Immigration Officer“, St. Lucia

Von Beginn an war klar: Eine solche Reise ist ein Lernprozess, kein Urlaub. Und Lernen kostet. In allen vorstellbaren Währungen. Hat man sein Lehrgeld einmal bezahlt, tun sich immer wieder, neue, unkonventionelle, überraschend einfache Wege auf. Unterwegs sehen wir, wie schwer sich viele tun, ihre Pläne zu verfolgen. Deshalb Achtung vor Plänen! Wir sehen uns gefordert, flexibel zu sein. In Notwendigkeiten neue Wege zu erkennen und diese auch zu beschreiten. Herausforderungen genießen, sie als Belohnung betrachten, als Ansporn mit Blick auf die schönen Seiten des Lebens. Auch dies wieder eine Herausforderung für sich…

Das Dasein inmitten der Natur ist eine Wohltat, unbezahlbar. Manchmal laufen wir in Gefahr, dies als Selbstverständlichkeit, als Alltag hinzunehmen. Doch ein mehrtägiger Ausflug in eine Metropole wie Panama City, voller Lärm, Verkehr, Menschenmassen – und schon ist man wieder geheilt; weiß das ruhige Leben an Bord wieder zu schätzen. Umgeben von Delphinen und Schildkröten ankern, den Lebensrhytmus dem Tageslicht anpassen: Wind (Kühlung, Segelantrieb), Regen (Frischwasser), Sonnenschein (Solarenergie) hinnehmen und nutzen, wie es kommt. Im grollenden Gewitter abwarten und hoffen, dass man von Blitzen verschont bleibt. Im Platzregen nackt an Deck springen und sich mit fetten, kalten Tropfen duschen. Mit dem Dinghy eine Runde um´s Riff drehen und mit frischem Fisch nach Hause kommen. Pelikane und Reiher beobachten, den Affen zuhören. Mit Maske, Flossen und Schnorchel im nassen Element versinken, für eine Minute Teil der Unterwasserwelt sein. Am Abend im Cockpit sitzen und sich in pechschwarzer Neumondnacht vom Blick ins leuchtende Universum beeindrucken lassen. Das ist eine Qualität, die man nur durch den Aufbruch ins Ungewisse gewinnen kann.

Titel DPP_1210
Das größte und schönste Badezimmer der Welt: Die Welt.
Titel DPP_1216
Barracuda – Abendessen an der Schleppleine

Natürlich haben auch wir einen ordinären Alltag. Segeln mit all seinen Nebengeräuschen ist unsere Normalität. Wenn man unter Seglern lebt, ist das nichts Besonderes, im Gegenteil. Ein Leben in Europa rückt gedanklich in die Ferne, scheint aus dem Blickwinkel der Cruisergemeinde schon fast abstrus – auch wenn wir wissen, dass wir in Zukunft wieder Teil dieser Welt sein werden.
Vor diesem Hintergrund genießen wir es, so etwas wie ein autonomes Leben führen zu können, auch wenn manchmal der Gedanke an ein einfaches und sicheres Berufsleben zu Hause verlockend klingt. Zugang zu Wasch- und Spülmaschinen, Trinkwasser und Strom ohne Limit. Was zu Hause ein Druck auf die Klospülung ist, kostet auf der Muoza zwei Stunden Beschäftigung mit dem Watermaker. Wenn die Sonne scheint, sonst heißt es warten.
Dafür sind wir fern von Tagespolitik. Selbst wenn wir per Internet informiert sind, leben wir frei von Dauerberieselung und unterschwelliger Angstmache durch die Medien. Können uns von der Metaebene aus unsere eigenen Gedanken machen. Gewinnen im wörtlichen Sinne einen erweiterten Horizont.

Titel DPP_1223
Horizonterweiterung vom Mast aus – keine Gallier in Sicht!
Titel DPP_1222
Fixpunkt: Innehalten bei Sonnenuntergang
Titel DPP_1208
Tagespolitik und Euro-Kurs? Ein andermal, wir haben gerade Wichtigeres zu tun.

Die Seglergemeinschaft ist wie ein Hauptgewinn für uns. So viele interessante Menschen, jeder mit seiner ganz individuellen Geschichte – die sich in der Grundform dann doch wieder ähneln. Kaum lebt man selbst auf einem Boot, öffnen sich einem alle anderen Boote. Ins Dinghy gesetzt, einmal durchs Ankerfeld getuckert und man hat fünf neue, hochinteressante Kontakte. Jeder hilft jedem, anders ginge es gar nicht. Kooperation macht Freude. Und da – anders als bei Reisen zu Land – die Segler klimabedingt ähnliche Routen planen müssen, begegnet man sich immer wieder aufs Neue. So können Freundschaften entstehen und gepflegt werden.

An diesem Punkt danke an euch alle, die ihr uns in Gedanken, Worten und Taten unterstützt und ermutigt. Danke auch an unsere Kritiker und Bedenkenträger, an alle Mitsegler, Leser dieses Blogs und unserer Artikel in der „Yachtrevue“. Ihr gebt uns und unserem Segelschiff den Rückenwind, die Stabilität, die Zuversicht, die Korrekturen, die man für einen erfolgreichen Weg benötigt! Was täten wir ohne euch?

Titel DPP_1209
Von links: Neue und alte Freunde, in einer jamaicanischen Bar

Eines ist sicher: Wir erleben gerade das Abenteuer unseres Lebens. Und wir können sagen: Das Risiko hat sich gelohnt. Sowohl emotional, als auch in Hinsicht auf den sogenannten „Return on Investment“: Reisen, Erlebnisse und Ausbildung sind krisensichere Investitionen, die kann dir keiner nehmen. Egal, wie der Euro gerade steht. Erfahrungen bleiben, brennen sich ins Gedächtnis, in unsere Vita, werden uns begleiten, solange wir uns erinnern können.

Unser Ausblick für das folgende Jahr? Bis einschließlich März 2016 haben sich schon einige Besucher angekündigt, mit denen wir vor allem das San Blas Archipel genießen wollen. Danach sollte Muoza wieder mal an Land, Antifouling und andere Wartungsarbeiten kommen auf uns zu. Was dann kommt, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Ob wir uns auf eine Weiterfahrt vorbereiten, auf eine Heimfahrt, eine Arbeitsunterbrechung, oder ganz etwas Anderes – später wissen wir mehr. Und da „später“ oft früher kommt als es einem lieb ist: Erstmal haben wir uns vorgenommen, uns noch mehr über unser spannendes Leben zu freuen!

Titel DPP_1219
Crew beim Freuen.

Kommentare

    • Danke dir – wir werden versuchen, nicht ‚alles‘ weiter so zu machen. Nur die Filetstücke rauspicken 🙂

      Antworten
    • Lieber Wolf, danke für dein Feedback! Haben uns gerade deine Website angesehen – lass uns doch in Kontakt bleiben…! 🙂

      Antworten
  1. Aschauer Brigitte

    Freue mich mit euch und das ich darüber lesen darf. Weiterhin eine wunderschöne Reise. Lg Brigitte

    Antworten
    • Liebe Brigitte, sooo nett, dass du uns immer virtuell begleitest! Freut und ehrt uns wirklich sehr, sehr, sehr! 🙂

      Antworten
  2. christian mimm

    hallo ihr beiden, freue mich für euch, eure entscheidung, dass ihr es einfach gewagt und umgesetzt habt, euren traum lebt .. uns ein stück weit mitleben lässt .. „haltet die ohren steif“ 😉

    Antworten
    • Christian, welch Überraschung! Super, dich auch als virtuell Mitreisenden an Bord zu haben – willkommen auf der SY Muoza! 🙂

      Antworten
  3. Vielen Dank für diesen tollen Bericht!!! Wir können es 1:1 nachvollziehen und das schöne daran: es kann einem keiner mehr nehmen! Liebe Grüsse SY Winggis

    Antworten
    • So nett, von euch zu lesen! Denken gerne an den inspririerenden Schwatz mit euch in Kuba! Wie geht es euch, wo ist euer Boot? Wir müssen unbedingt mal mailen….bis bald, ihr zwei!

      Antworten
  4. Es bleibt nach wie vor ein Vergnügen euch digital auf eurer Reise zu begleiten! Wie immer schön geschrieben. Die Sehnsucht erneut an Deck der Muoza sich unter dem Sternenhimmel in den Schlaf schaukeln zu lassen wird dadurch allerdings auch nicht weniger 😉
    Haltet die Ohren steif und viel Glück weiterhin bei allem was ihr euch vornehmt!!!

    Antworten
    • Lieben Dank dir! Wir verfolgen indessen eure Abenteuerreise mit großem Interesse. Super macht ihr das, tolles Projekt! Weiter so! 🙂

      Antworten
  5. hallo ihr beiden
    bin zufällig auf eure webseite gestossen. super logbuch, könnte stundenlang weiterlesen…. auf was warte ich eigentlich noch?? weiterhin fair winds und hoffentlich ‚tut‘ der daumen wieder

    Antworten
  6. Kling klang klung und sing sang sung zum NIKOLAUS TAG 2015 !!!! Gestern Füß abgfroren am Weihnachts-Matktstandl in der Leutasch mit Georg. Zur Zeit ENERGEZ – Hochsaison, eh klar! Wir TiroerlInnen kasweiß. Ihr wahrscheinlich nahtlos braun. Scheen Gruaß aus Tirol, herzlichst C.

    Antworten
    • Christine & Georg – wünschen euch eine energezisch-gute Zeit! Kasweiß ist das neue braun, also alles bestens. Liebe Grüße, sehr nett von euch zu hören! 🙂

      Antworten
  7. Heinz VEIT

    Das Glück ist ein Vogerl !
    Wirklich interessant Eure Schilderungen – auch der Schreibstil ! Kompliment !
    Ein Interessierter aus den Bergen
    Liebe Grüße aufs weite Meer hinaus !

    Antworten
    • Lieber Heinz! Schön, so etwas zu lesen, danke! Du schreibst, du bist ein „Interessierter“ – wenn du Fragen hast, kannst du uns jederzeit gerne anmailen. Die Seglercommunity hat uns auf dem gleichen Weg sehr geholfen, bevor wir selbst losgefahren sind 🙂

      Antworten
  8. Guenther Fliszar

    Hallo ihr beiden!

    Wunderbare Beiträge! Schöne Betrachtung der Gesellschaft, wo auch immer man sie trifft, ob auf dem Berg, am Meer oder im Dschungel. Danke für die Berichte, sie helfen uns sehr weiter. Kompliment für den schönen Schreibstil und die sehr einfühlsamen und schönen Bilder. Wünsche euch noch viele schöne Erlebnisse und tolle Erfahrungen und freue mich auf euren nächsten Bericht!
    Liebe Grüße! Günther

    Antworten

Hinterlasse ein Kommentar