Der Schatten unseres blauen Planeten schiebt sich über den Mond. Mondfinsternis. Blutmond. Das markige Geschrei von Brüllaffen verbreitet wohlig-schaurige Stimmung…
Was für eine Woche, auf die wir zurückblicken. Eine Verdichtung von Erlebnissen. Morgen beginnt die Suche nach einem Physiotherapeuten – der Grund, warum Muoza´s Anker sich in den Grund vor Puerto Lindo gebohrt hat.

Spaghetti-Party auf dem Nachbarschiff. Vormals Shrimpkutter, heute schwimmendes Loft aus Stahl. Riesig und gemütlich. Die ausnehmend liebenswürdigen Gastgeber, bevorzugen diese Art von Zusammenkunft: Jede Bootscrew bringt Sugo mit, ein riesiger Topf Nudeln wird gekocht und mit den verschiedenen Sößchen verkostet. Dazu etwas Bier, feinster Birnenschnaps als Digestif. Die Stimmung ist gelöst, geradezu inspiriert. Joyce skizziert die Anwesenden auf einem Tablet-PC. Dann ein Malheur, das uns im Nachhinein wie der Auftakt für eine knüppeldicke Woche erscheint: Beim Einsteigen ins Beiboot erleidet ein Gast eine Kreislaufschwäche. Stürzt. Mit dem Kopf an die rechtwinklige Ecke der Stahlreling, dann gleich noch einmal mit dem Kopf auf das stählerne Seitendeck. Das Dinghy treibt ab, muss schwimmend zurückgeholt werden, die Person kommt zu sich – und ist zum Glück weitgehend unverletzt. Was für ein Glück! Nur Beulen und Prellungen mahnen, wie schnell sich Dinge ändern können…


Lisa ist ein über die Grenzen bekannter Kuna-Mann in Frauenkleidern. Dies ist in Kuna Yala häufig zu sehen: Oftmals erziehen Familien, die nur Söhne haben, die jüngsten Nachkommen als Frau. Als Erben der matriachal geführten Familien, erhalten diese Menschen oft hohe Anerkennung im Stamm. Lisa ist geschäftstüchtig, verdient gutes Geld, verkauft handgenähte Molas an Touristen. Bietet Flusstouren an. Flusstour? Wir wollen mit…!
Mit dem motorisierten Einbaum (Ulu) den krokodilbewohnten Fluss entlang, bis ans befahrbare Ende gestakt, zu Fuß weiter. Am Kuna-Friedhof vorbei, den Dschungelpfad entlang, in die wilden Berge Kuna Yalas. Bis zu einer Kaskade kleiner Wasserfälle, die mit den Mutigen unter uns in tiefe Süßwasserbecken purzeln. Wasserfall-Rückenmassage, eine kühlende Wohltat. Vorwitzige Fische zwacken die Schwimmenden. Schreck, Gelächter. Am Rückweg durch den Fluss gewatet, von einem Pool in den nächsten gehüpft, gerutscht, geschwommen, wie Sonntags-Canyoning.




Ein „Drybag“ ist eine wasserdichte Tasche, die offensichtlich doch nicht wasserdicht ist: Eindringende Nässe löst unsere automatische Schwimmweste aus. Der Drybag explodiert unter dem Druck der Pressluftweste, verstreut ihren ganzen Inhalt. Gerlindes kostbare polarisierte Sonnenbrille – wichtig für die Navigation in Riffgebieten – ist verloren. Alles zusammengenommen kostet uns der kleine Ausflug ein halbes Monatsbudget, einfach so (die zwei Wochen später geflutete Kamera nicht mitgerechnet). Sehr schmerzhaft.
Währenddessen geht Lisas neuer Helfer mit dem Gepäck weiter. Und weiter. Und weiter. Die Taschen lässt er am Wegesrand zurück. Nur nicht jene mit Lisas Geld, das teure Telefon von Jonathan aus Mexiko fehlt ebenso. Schnell zurück zum Ulu gelaufen, der Einbaum ist noch da, Lisas Boatboy nicht – er hat sogar den Schlüssel an den Motor gesteckt. Sehr rücksichtsvoll. Aber Geld, Telefon und Mann bleiben verschwunden. Lisa hat eine Idee, wohin er gegangen sein könnte, traut sich aber wegen eines weiteren Kuna-Friedhofes nicht dorthin: „Alleine an einem Friedhof kann es gefährlich sein, das ist kein Kuna-Mythos…“. Also bleibt die halbe Gruppe beim Boot, Lisa stapft mit Gunther und Jonathan durch den schlammigen Dschungelpfad an die Küste. Tatsächlich: Da steht der Kerl und erfreut sich wischend seiner elektronischen Beute. Lisa schleicht sich an. Tut, als ob nichts gewesen wäre: „Da bist du ja! Komm, wir wollen doch zurückfahren!“ Gute Taktik. Der Mann muss einen Augenblick nachdenken. So kann Lisa unbemerkt dessen Machete sichern und greift die Tasche mit dem Geld. Zu spät. Der Gauner reißt die Beute wieder an sich, prescht durchs Wasser davon, gefolgt von Gunther und Jonathan. Angst verleiht Flügel, da hält keine Dosenlimo mit. Der Mann verschwindet im Dschungel. Uns wird bewusst, dass wir im Krokowasser waten und unsere Beine keinesfalls gegen ein Handy eintauschen wollen. Ab nach Hause. So muss der Dieb eben im Dschungel übernachten. Kuna Yala ist klein. Er wird keine Chance haben, ungeschoren davonzukommen; wörtlich, siehe nächster Absatz.
Tags darauf: Bei Sonnenaufgang zieht Lisa mit sechs Kuna-Männern los, den Dieb zu finden. Es stellte sich heraus, dass dieser bereits vor unserem Ausflug 600 Dollar aus seinem Gastdorf entwendet hat. Dazu noch einen Einbaum, mit dem er frühmorgens aus dem Suchgebiet entfleucht. Zwecklos. Bald ist der Mann gestellt, wird nach Kuna-Gesetz gerichtet: Ihm werden die Haare geschoren. Dann wird er reihum geschlagen, inmitten eines Menschenkreises . Mit Ruten, welche die Haut sichtbar irritieren. So gezeichnet, muss er die Insel, auf der er zuletzt wohnte, verlassen. Ist geächtet.

Beständiger Halbwind zieht die Muoza fort von den Gewittertürmen des Festlandes, Richtung Außenriff. Vorfreude. Lang ersehnte Freunde warten im türkisen „Swimmingpool“ der Cayos Hollandés. Kurz bevor wir die Segel streichen, hantiert Gunther mit einer leeren Glasflasche. Glas stößt auf Metall, die im Sonnenlicht aufgeheizte Flasche explodiert in Gunthers linker Hand. Erster Blick: Eine Wunde! Zweiter Blick: Eine tiefe Wunde. Test: Der Daumen lässt sich nicht mehr bewegen. Das darf doch nicht wahr sein! Offensichtlich ist die Beugesehne abgetrennt. Erstversorgung, Segel einholen, ankern, nachdenken, beraten. Im Dunkeln zurückfahren? Zu gefährlich – die Wracks auf den Riffen bezeugen das. Folgender Plan wird festgelegt und umgesetzt: Per Sat-Telefon Reisekrankenversicherung informieren, bei Sonnenaufgang ablegen, 13 Meilen nach Yansaladup fahren, von dort per Motorboot ans Festland, Sammeltaxi nach Panama City, in die Klinik. Gesagt, getan. Im Motorboot wartet bereits der Skipper des oben erwähntem Shrimp-Kutters. Er hat sich mit der Flex in den Fuß geschnitten, muss genäht werden. Das auch noch.
Einen Tag nach dem Unfall erreicht Gunther die Klinik. In Erwartung einer OP nüchtern, sprich dehydriert und unterzuckert. Das teure Telefonat mit der Hanse Merkur Versicherung am Vorabend war für die Katz: Anstelle schneller Behandlung und einfacher Wege beginnt alles von vorne. Es gibt nicht einmal einen Ansprechpartner. Berge von Formularen werden gemailt, die man – egal in welchem Zustand – ausfüllen muss. Leider: Ohne Flugticket keine OP, kann man nix machen! Wie bitte? Verzweiflung und Wut keimen auf… Na gut, ellenlange eidesstattliche Erklärungen ausfüllen und mailen. Telefonieren. Warten. Bis das OK für die Behandlung kommt, friert Gunther acht Stunden in der Klinik, einen ganzen Arbeitstag lang. Insgesamt vergehen 36 Stunden zwischen Unfall und OP. Aufgrund der lange offenliegenden Wunde gibt es literweise Infusionen, Antibiotika, Entzündungshemmer. Nach vier Tagen torkelt Gunther aus der Klinik wie betrunken.


Zurück an Bord, ist der Skipper geschwächt und zudem krank. Seine Moral dementsprechend. Gerlinde sowie die supernetten Besucher Tom und Steffen gleichen das aus, helfen, Muoza Richtung Festland zu bringen. Zum Blutmond. Zu den Brüllaffen. Zur Physiotherapie. Daumen hoch.


Das war aber für mich kein „schöner Sonntag“! Bei diesen Nachrichten!
Trotzdem, schön doch von Dir zu hören! Wünsche baldige Wiederherstellung der Hand und keine Diebe mehr in der Nähe!
Herzliche Grüße!
Ach, das wird schon. In ein paar Jahren wird das einer unserer liebsten Schwänke sein…!