Posting vom 14. Juli 2015

Wir liegen immer noch in Cayman Brac. Seit fast drei Wochen. Weit und breit kein Wetterfenster in Sicht, für eine direkte Fahrt nach Panamá. Das Geschaukel an der Boje, die seltsame Stimmung auf der Insel, das Zwielicht, die schrulligen, wenn auch ausnehmend freundlichen Menschen: Wir haben es satt.

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Cayman Brac: Ein Leben am Abgrund
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Der ortsansässige Künstler „Foots“ untermauert unsere Zombie-Theorie (siehe letzter Beitrag „Im falschen Film“)

In der Funkrunde von Chris Parker ist es uns bereits peinlich, alle zwei Tage nach einem Wetterfenster in den Süden zu fragen. Diesem scheint es auch sichtlich unangenehm zu werden, uns immer wieder vertrösten zu müssen. Das gigantische Azorenhoch, das Europa eine Jahrhunderthitze beschert, schickt unablässig starke Winde quer über die Karibik. Die Wellen bauen sich Meile für Meile auf, genau bis zu der westlichen Länge, auf der wir uns befinden. Jonathan, von der uns begleitenden SY Inti träumt sogar schon von Chris Parker! Dessen sonore Stimme verfolgt das gepeinigten Tontechniker-Hirn mittlerweile auch untertags. Das sieht gar nicht gut aus.

Wieder acht Uhr morgens, wieder Funkrunde, und doch ist etwas anders: Die rauschende Stimme des Wetterfrosches begrüßt unsere Idee, in Etappen über die Insel Providencia nach Panamá zu segeln. Dafür müssten die nächsten Tage reichen, bevor Wind und Wellen in der Zentralkaribik sich wieder machtvoll aufschaukeln. Auch auf dieser Route werden Starkwind und grobe Wellen den Rahmen bilden, aber wir können südwestlich abfallen. Das bedeutet etwas weniger Winddruck, aber immer noch achterliche Seen von 3 bis 4 Metern Höhe – und die obligatorischen Squalls.

Also los. Zwei Tage Vorbereitunsgszeit für Einkäufe, Klar Schiff machen, den Caymanern mit Notlügen versichern, dass es einem ausnehmend gut gefallen hat und man gaaanz bestimmt bald wiederkommen will…

Wir segeln. Nach 23 Tagen wilden Rollens an der Boje. Endlich! Der Wind ist stärker und südlicher als erhofft. So kneifen wir möglichst hart ostwärts, um sicher durch die unangenehmen Nicaragua-Bänke zu kommen. Die Strömung arbeitet gegen uns. So kommen wir manchmal nur mit 2 Knoten voran, obwohl wir sichtbar druckvoll durchs Wasser rauschen. Der Bug schaufelt sich durch das Element, lässt uns selbst im extrem geschützten Cockpit nicht trocken. Länger als geplant dauert es, bis wir abfallen können – und dafür den Salzwasserspray von achtern hinnehmen müssen. Das Schiff wird innen und außen schmierig und feucht. Die Umlenkrolle des dritten Großreffs bricht mitten in der Nacht. Unangenehm, das Großsegel im Dunkeln bei grober See – halbverschlafen – zu bergen. Also auf´s Vorschiff geklettert und runter mit dem Tuch. Bei diesem Kurs dürfte das Vorsegel ausreichen. Das passt schon. Oder wie wir seit Kuba, angelehnt an die behördlichen Reisegenehmigungen, sagen: Despacho!

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Die Mini-Flotille macht sich auf den Weg…

Nach vier Tagen und Nächten erscheint eine neue Welt: Providencia gehört heute zu Kolumbien, obwohl es vor der Küste Nicaraguas liegt, seit Jahrhunderten umkämpft. Die Insel erlangte Berühmtheit durch den britischen Piraten Henry Morgan, der von hier aus Städte und Menschen in Panamá, Kolumbien, Venezuela plünderte und niedermachte – und dafür in den englischen Adelsstand erhoben wurde. Ein Schalk, wem hier tagespolitische Bilder von staatlich finanziertem Terror anstatt romantischer Hollywoodfilme im Kopf erscheinen…

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„Morgan´s head“ in Providencia

Erst kurz vor Ankunft tauchen die Spitzen des winzigen, aber malerischen Inselchens aus dem Dunst, bevor es wieder in Regensqualls verschwindet. Ein bedrohliches Kriegsschiff ankert vor der Einfahrt, beobachtet, wie wir durch die Untiefen motoren. Nicaragua hat kürzlich Ansprüche auf das Gebiet formuliert, daher verstärkte politische und militärische Präsenz. Irgendwie scheint in den vergangenen Jahrhunderten unserer sogenannten Zivilisation wenig echte Entwicklung stattgefunden zu haben…

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Vor Anker in Providencia
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Die Stimmung hebt sich wieder
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Zwielichtige Gestalten in der Bambus-Bar: Knallharte Seeleute mit eisblauem Blick nuckeln an ihrem Fruchtsaft.

Dass wir genau zu Beginn des jährlichen Inselfestes ankommen, merkt man von weitem. Es sind die gewaltigen Bässe der Konzertbühne, die das Schiff und die gesamte Umgebung in Schwingung versetzen. Wir sind in eindeutig in Kolumbien: Hier haben die Menschen weder Angst vor dröhnender Lautstärke noch vor schrillen Farben, wie die orange-lila-grün-gelb-rosa bemalten Häuser beweisen. Typisch kolumbianisch.

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Fiesta in Providencia
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Wenn wir schlafen gehen, beginnt die Fiesta erst langsam

Nach vier Wochen ankern wir das erste mal wieder ohne Dünung, eine echte Wohltat. Endlich kann man wieder normal an Bord arbeiten, gekühlt von einer kräftigen Brise. Am Steg stellen wir fest, dass man sein Dinghi hier nicht absperrt, offensichtlich kann man den Menschen hier vertrauen. Wie üblich, in überschaubaren Gemeinschaften, deren Mitglieder aufeinander angewiesen sind. Diese bevölkern zahlreich die Straßen, brummen mit Mopeds herum, verkaufen Essen an Straßenständen, sind freundlich, sprechen Spanisch, Englisch und das karibische Pigeon-Mischmasch. Uns wird sofort klar: Dieser Umweg hat sich gelohnt, hier könnte man getrost Monate verbringen, wie es bereits drei anwesende Segelcrews vormachen. Wir mieten ein Moped, besteigen endlich wieder mal einen kleinen Gipfel, genießen Küche, Schnorchelriffe, Landschaft, Strände, Service, nette Nachbarn in der Ankerbucht. Die günstigen Almuerzos, Mittagsmenüs, stellen essenswerte Hausmannskost dar. Zum Reinbeißen! Ein Knöchelchen in der Tagessuppe kostet Gunther ein kleines Stück Backenzahn. Wird in der örtlichen Klinik gleich von einer charmanten, jungen Frau glattgeschliffen und poliert. Preis: 14 Dollar – ach was, egal, kostet nichts. Está bién, hasta luego. Der Proviant wird massiv aufgestockt, damit wir ohne weitere Einkäufe eine ganze Weile in San Blas verbringen können. In den örtlichen Supermärkten kennt uns mittlerweile jeder. Auf den Straßen auch. So werden aus einem kurzen Zwischenstopp über zwei Wochen. Hier könnten wir länger bleiben – wofür auch ein lokaler Immobilienbesitzer wirbt. Er sucht ambitionierte Menschen, die für zwanzig Jahre ein Stück Land pachten, bei der Entwicklung der Insel mithelfen, etwas bewegen, aufbauen wollen. Hm, wer weiß, vielleicht später…?

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Endlich wieder wandern!
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Die Admiralität muss tun was die Admiralität tun muss
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Die Einheimischen interessieren sich für Besucher
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Kampfshopping als Investition in die Zukunft. Seit Monaten das erste mal wieder richtige Schokolade (li. oben)

Wir müssen wieder den Anker lichten. Die Inti-Crew will ihren Heimflug erreichen. Die Wetterprognosen werden schlechter, nicht besser. Auf zur nächsten Etappe! Wieder los, wieder kräftiger Wind, wieder Höhe Richtung Osten kneifen, wieder in stockdunkler Nacht durch Bänke navigieren, wieder alles feucht, salzig, schmierig. Auf hoher See trennen sich nach über zwei Monaten die Wege der beiden Sputniks Muoza und Inti. Per Funk verabschieden wir uns von den Freunden, die für ein paar Monate in die Heimat fliegen werden. Wir freuen uns jetzt schon auf ein Wiedersehen.

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Drittes Reff im Groß – gute Entscheidung

Zahlreiche Funksprüche mit Frachtschiffen folgen: Wir queren Schifffahrtsrouten für den Panamá-Kanal, die Stahlriesen kreuzen mit bis zu 30 Knoten unseren Kurs, fliegen regelrecht über den Monitor unseres AIS-Radars. Der Wirkung unserer Radarreflektoren vertrauen wir nicht. Da fragt man lieber nach, ob die Großschiffe einen auch wirklich sehen, schließlich ist die SY Muoza nicht größer als einer ihrer Container, die sie tausendfach transportieren. Die Offiziere auf Wache zeigen sich freundlich und passen gut auf uns auf. Unterstützend beleuchten wir unsere Segel, die im Dunkeln wie leere Kinoleinwände strahlen.

Der letzte Sonnenaufgang bringt einen besonderen Geruch mit sich: Schmeichelweiche, warme Luft, bekannte Emotionen steigen in uns auf. Tatsächlich. Am Horizont kommt Punta San Blas in Sicht. Gleich daneben die Palmenköpfe der ersten San Blas-Inseln. Ungeduldig segeln wir die letzten Meilen, streichen die Segel. Aufgewühlt motoren wir durch die Rifflandschaft; werden von zwei filmreifen Delfinen im Spalier begrüßt und geleitet, lassen den Anker auf ungewohnter Tiefe fallen. Die ersten Schritte an Land, die Kuna-Männer – einen Kopf kleiner als Gerlinde, die vorwitzigen Kuna-Mädchen, Pfahlbauten, Pirogen, Palmen, überall Menschen in Hängematten: Kuna Yala, endlich, wir sind zurück!

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San Blas: Die deutsche „Stahlratte“, ein hundert Jahre alter Kutter verfolgt uns seit Kuba und ankert wieder in Bierdosenwurfweite.

Kommentare

  1. Sailer Bettina

    war schön wieder einmal was von euch zulesen. ganz liebe grüsse an gerlinde

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  2. Martha Kuttner

    Bin eine Freundin von Mama und erlaube mir Euer Abenteuer zu verfolgen.
    Alte Sehnsüchte und Fernweh werden wieder wach, aber ich muss mich halt zufrieden geben mit Mama darüber zu sprechen und mich auf neue Berichte von Euch zu freuen !
    Bleibt gesund und unfallfrei und vergesst die Tiroler Berge nicht !
    Ich grüße Euch ganz herzlich und wünsche weiterhin alles Gute.
    Martha

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