Wir hatten nie vor, hierherzukommen. Die Technik hat uns dazu gezwungen. Das Wetter bindet uns an dieses Inselkrümelchen, vertröstet uns auf morgen, auf nächste, auf übernächste Woche. Schon seit zehn Tagen, kein Wetterfenster für die Überfahrt nach Panamá in Sicht, dafür jede Menge Regen, der unsere Wassertanks bis an den Rand füllt. Gewittrige Squalls an der Boje abgewettert, lassen manche Nacht an eine Hochseefahrt glauben. Unsere Stimmung schwankt wie das Boot.

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Es rollt sogar bei ruhiger See
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Unser neues Filmplakat – sorgt für Laune bei Schlechtwetter

Cayman Brac heißt das bisschen Land, welches keine Ankerbucht bieten kann. Bereits vor Jahrhunderten wurden hier bloß Schildkröten zur Verproviantierung geladen – um gleich weiterzusegeln.

Schildkröten leben immer noch hier, werden immer noch gegessen. Tauchen neben unserem Boot auf, schnappen Luft, recken den Hals aus dem Wasser, nocheinmal – und versinken im salzigen Element, das einen kristallkaren Blick auf die tief unter dem Boot gelegenen Korallen freigibt. Die Sicht ist unglaublich. Brille und Schnorchel aufgesetzt, kann man der Schildkröte zu einem 1996 versenkten, russischen Zerstörer folgen. Er liegt nur ein paar Flossenschläge schräg unter unserer „Muoza“. Der achterliche Kanonenturm des hundert Meter langen Kriegsschiffes liegt auf Schnorcheltiefe, es haben sich bereits gelb leuchtende Schwämme angesiedelt.

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Hier gibt´s Schildröteneintopf
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Unser „Hausriff“
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Jochen, der Rochen wartet wie immer am Dinghi-Steg
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Cayman Brac – Northwestpoint

Die Bojen hier sind kostenlos, die Menschen zuvorkommend. Wir haben das Gefühl in einer Filmkulisse einer US-Kleinstadt zu sein – auch wenn die Caymans offiziell britisch sind. Doch was für ein Film ist es, in dem wir als Statisten herumwandeln? „Blue Velvet“ von David Lynch – oder doch die „Trueman-Show“, wo der Held in einer scheinbar perfekten Kunstwelt lebt?

Die Menschen sind so freundlich, dass sie einen im Supermarkt hinter jedem Regal aufs Neue grüßen, einen prompt per Autostopp mitnehmen, mit Rat und Tat zur Seite stehen.

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Doch im David Lynch-Film?
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Ganz ehrlich – wer will hier essen?

Und doch stimmt irgendetwas nicht. Die arbeitenden Menschen dürften großteils Philippinos, Creolen oder Kubaner sein. Die „weißen“ Menschen wirken oft wie beschäftigungslose Alkoholiker mit Geld, alt und/oder gebrechlich. Die Gebrechen könnten neben dem kleinen Genpool auf die Verpflegung zurückzuführen sein, die im einzigen Supermarkt gekauft wird: Regale voller Futtermittel, denen Fett und Zucker entzogen wurde, dafür mit allen möglichen Ergänzungsmitteln angereichert, auf englisch: „enriched“. Schönes Wort. Die Rieseneier schmecken nach Fischmehl, die Gurken nach Gärung, die Megakarotten nach Zucker. Was hier als Wiener Würstchen verkauft wird, lässt einen in sich zusammensacken.

Dafür ist das Internet im Supermarkt gratis und wirklich schnell, was wir gerne und ausgiebig nutzen. Wir setzen uns dafür an einen Tisch, bleiben aber nicht lange alleine. Eine ältere, runde Mama, mit ihrem etwa 45-jährigen, männlichen Riesenbaby, setzt sich zu uns an den Tisch. Dass wir arbeiten wollen, ignoriert die Dame. Nachdem wir erklärt haben, dass wir nicht aus Australien kommen und auf einem Boot leben, gestaltet sich die Unterhaltung in etwa so:

Mama: Austria is far away.
Gerlinde: Yes, Austria is far away.
Mama: Cuba is far away.
Gerlinde: Yes, Cuba is far away
Riesenbaby: You´re all right…(stößt seine Faust an Gunthers Faust zur Verbüderung). Cuba is the best place.
Mama: Do you grow mangos in Austria?
Gerlinde: No, we don´t grow mangos. It is too cold for mangos. We grow apples, for example.
Mama: So you don´t grow mangos?
Gerlinde: No, we don´t grow mangos. It´s too cold for mangos.
Mama: But you grow apples?
Gerlinde: Yes, we grow apples.
Mama: But you don´t grow mangos.
Gerlinde: No, we don´t grow mangos
Mama: The Philippines are far away.
Gerlinde: Yes, the Philippines are far away
Riesenbaby: You´re all right…(Faust an Faust)
…und so weiter…

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Einkaufsparadies in Cayman Brac

Also Flucht in die Barracuda-Bar, die ebenfalls Internet anbietet. Der einzige Gast neben uns – eine am hellichten Tag sturzbesoffene weiße Frau – mokiert sich über die Band, die aus dem Lautprecher dudelt. „These bastards all take drugs!“, brüllt sie mit ausladender Geste wie aus dem Nichts und torkelt an die andere Seite der Theke.

Auf dem Rückweg zum Pier bewundern wir die erwachsenen Männer der Insel. Wie sie ihre aufgemotzten Autos mit angezogener Handbremse über den Schotter driften lassen. Wie pubertierende Buben, die endlich autofahren dürfen.
Zurück am Boot, schalten wir das Radio ein. Sämtliche Radiosender beriesen die Inselwelt mit musikalischen Weichmachern für Gehirne. In schmalzigen Gospels muss Jesus für alles Mögliche und Unmögliche herhalten. Es folgt Redneck-Musik, in welcher der Sänger seiner Liebsten erklärt, warum er für die Flagge der USA, für rot-weiß-blau, in den Krieg ziehen muss: Weil er erst für das Gute, das Richtige, das Wahre in der Welt zu kämpfen hat bevor er wieder zu seinem Schatz zurückkehren kann. Oh my lord! Und so weiter, es nimmt kein Ende.

Endlich dämmert uns, in welchem filmischen Genre wir uns wähnen: Horror. Wir fühlen uns ein bisschen wie in einem Zombie-Film, in dem sich die Untoten von menschlichen Gehirnen ernähren. Schnell weg, bevor sie auch uns erwischen. Doch der Wettermann in der Funkrunde rät uns, noch eine Woche zu warten….

Yes, indeed. Austria, Cuba, the Philippines – and Panamá – are far away!

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Smutje Jonathan von der SY Inti haben die Zombies erwischt – jetzt knabbert er mangels Alternativen an Gehirnkorallen

Kommentare

  1. hallo, fahrt bei guter sicht unbedingt nach little cayman rein, einfahrt ist a bissl wild aber drinnen in der lagune einfach schoen. keiner kuemmert sich ob ihr schon ausgecheckt habt – macht das einfach in brac und sagt ihr fahrt nach g.c. weiter! bilder sind auf unserem blog. minimarkt gibts aber besser in brac einkaufen. in grand cayman muesst ihr an die gratisboje, aufpassen auf die riffe die direkt an den bojen sind! wir waren jetzt einen monat lang in den san blas inseln, sind seit gestern in der panamarina und fliegen freitag heim. wenn ihr von cayman auch nach panama faehrt dann vergesst nicht providenciales bzw das riff n-lich davor und dann die inseln um cajo bolivar!
    liebe gruesse aus panama,
    sylvia+helmut

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    • Gunther

      Lieben Dank für die Tipps! Werden voraussichtlich direkt von Brac fahren, wollen keine östliche Höhe verlieren, zumal die Winde südöstlich kommen. Wo habt ihr in Panamá einklariert? Providencia? Hat das gut funktioniert? Ist das wirklich so teuer? Euch einen guten Flug und alles Liebe – hoffentlich bis bald mal! 🙂

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  2. Josef Bamhakl

    Hallo ihr zwei – ist immer wieder toll von eurem Abenteuer zu lesen und zugleich auch tröstlich, dass man auch auf der Segelreise hart kämpfen und schufften muss, um die selbstgesteckten Ziele zu erreichen – dann wünsche ich euch Guduld und bald bessere Segelbedingungen – direkt aus dem Bergen zu euch 🙂

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    • Gunther

      Juhuu, lieben Dank! Ja, dem Leben kann man nicht davonsegeln, das ist immer dabei. 🙂

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  3. Hi guys,

    Good to hear your war stories. Sounds like a great adventure to be on the road, sorry I mean sea.

    Guess you do not miss the Alps with all that water around. 😉

    Looking forward to read your next stories. Good practice for my German.

    Greet from Tokyo.

    Bert

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    • Gunther

      Bert, nice to hear from you. Well, we do miss the alps – and our belgian friends. Do you know when they gonna visit us…? 😉

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