Die Höhepunkte unserer bisherigen Reise stehen bevor. Auf uns wartet der touristisch unerschlossene Südwesten der Dominikanischen Republik, Haiti, Jamaika und unser ersehntes Zwischenziel: Kuba. Solange Fidel und Raul Castro noch am Leben sind, solange der kapitalistische Einfluß noch begrenzt ist…

Unser Freund Lothar lässt sich vom ersten Nachtschlag, von Seekrankheit bei 7-8 Windstärken und groben Kreuzseen nicht entmutigen. Die See bedankt sich beim nächsten Schlag mit 8-9 Windstärken und groben Kreuzseen. Als Belohnung winkt eine geschützte Ankerbucht: Barahona. Eine Stadt, die außer uns keine sichtbaren Touristen beherbergt. Die Behörden knöpfen uns weiteres Geld ab, am Ende kosten uns die Reiseformalitäten in der DomRep fast 400 Euro. Schmerzhafter Negativrekord. Zum Ausgleich kostet ein Mittagsmenü am Markt 1,20 Euro. So billig kann man selber gar nicht kochen. Die erfolglose Suche nach einer passenden Gasflasche ist wie eine Schnitzeljagd, die uns alle Ecken der Stadt kennenlernen lässt, die vergebene Mühe wird uns mit vielen Begegnungen abgegolten.

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Mary Ann II begleitet uns nach Barahona

Gemeinsam mit den Crews von „Mary Ann II“ und „Utopia II“ mieten wir einen Fahrer für einen Tagesausflug. Ziel ist der Salzwassersee Enriquillo, dessen Fläche sich im vergangenen Jahrzehnt verdoppelt hat. Sehen heiße Schwefelquellen, steinzeitliche Bilder im Fels, freche Leguane, im Salzwasser abgestorbene, sich spiegelnde Wälder – und jede Menge Krokodile, die sich nur widerwillig fotografieren lassen. Auf dem Rückweg stoppen wir an der Grenze zu Haiti. Eine trostlose, sonnenverbrannte Hochebene, einen chaotischen Grenzmarkt beherbergend, der jedem Abenteuerfilm gut zu Gesicht stünde. Und wir: Mittendrin.

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Abgestorberner Wald im steigenden Salzwassersee
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Der tut nix, er gähnt nur
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Eine Mama in der Brutregion
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Grenze Haiti – Dominikanische Republik

Obwohl bereits aus der DomRep ausklariert, laufen wir Isla Beata am Südkap von Hispaniola an. Die Offiziellen vorort zeigen sich sogar erfreut über den irregulären Besuch. Die Szenerie ist postkartenreif: Türkises Wasser, ein von Fischern und beeindruckend fetten Leguanen bewohnter Strand. Nur schwer können wir uns gedanklich von dem Ort trennen, Lothars Rückflugtermin zwingt uns zur jedoch Weiterfahrt. Oder doch nicht? Wir fühlen uns allesamt angeschlagen, außerstande, den Anker zu lichten. Fast freuen wir und über die höhere Gewalt, die zwei weitere Tage auf Isla Beata beschert, zur Entschleunigung zwingt. Der Flug wird per Satellitentelefon von Kuba auf Jamaika umgebucht, der Druck aus den Segeln genommen. Mehr Zeit für weniger Strecke fühlt sich an wie eine Belohnung.

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Isla Beata am Südkap Hispaniolas
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Abendessen ist gesichert

120 Meilen nach Westen sind wie ein Sprung in die Vergangenheit: Holzkohlemeiler sind weit vor der Küste Haitis zu riechen. Nach Sonnenaufgang scheinen sämtliche Außenbordmotoren der Fischer und Fähren verschwunden, durch Segel und Riemen ersetzt. Wir navigieren durch ein Labyrinth von Fischerbojen, vorbei an einer Kokosnuss-Strohhütten-Insel (wo wir rückblickend betrachtet hätten bleiben sollen), in die Bucht von Ile á Vache, die überraschend viele Segler beherbergt. Noch bevor unser Anker in die Mangrovenbucht fällt, ist die „Muoza“ von Pirogen umringt. Jeder will etwas verkaufen, anbieten oder erbetteln. So arm wirken die Menschen gar nicht, im Gegenteil. Die Menschen scheinen kerngesund und gut genährt, haben perfekte Zähne, saubere Kleidung, sprechen etwas Englisch. Sind offenbar auf Tourismus eingestellt. Zwei Tage lang genießen wir die autofreie Insel, die in Kürze einen Flughafen erhalten wird. Die plusquam-perfekten, guten alten Zeiten werden in Kürze gewesen sein, die Bewohner werden es bald erkannt haben. Die hohen Preise und die nervende Distanzlosigkeit der Menschen machen uns den Abschied leicht. Dennoch sind wir überzeugt, dass Haiti ein lohnendes Reiseziel wäre, ganz entgegen der landläufigen Meinung in Europa…

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Haitianischer Papa
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Haiti – wo Segeln noch Standard ist
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Charmanter Baustil

Jamaica begrüßt uns mit einer malerischen Bergkulisse – und wieder einmal mit Kreuzseen, die Boot und Crew belasten. Die Behörden kosten uns einen halben Tag, alle möglichen Menschen und Hunde kommen an Bord: Quarantänearzt, Tourismusbehörde, Hafenkapitän, Polizei, Militär, Zoll… Als Reggae-geschädigte, an karibische Phantasiepreise gewohnte Reisende erwarten wir nichts von Jamaica. Daran könnte es liegen, dass unsere Erwartungen übertroffen werden. Natürlich hört man Raggae-Musik, natürlich kosten 250 Gramm Butter knapp 4 Euro. Doch die angenehm entspannte Art der Menschen in Port Antonio überträgt sich auf unsere Flottilie, die nach fünf Wochen ein letztes Mal in dieser Form zusammen ist: Lothar fliegt nach knapp fünf Wochen und vielen gemeinsamen Erlebnissen leider heim nach Innsbruck, die „Mary Ann II“ mit John und Julia macht sich bereits auf den Weg nach Panamá, der Brasilianer Marco bleibt mit seiner „Utopia II“ noch eine Weile in Jamaica, die holländische „Mermaid“ fährt schon mal voraus nach Kuba. Bleibt noch unsere „Muoza“ und unser Freund Harald aus Freiburg, der uns mit seiner „Regolarita II“ nach Kuba begleiten wird. Die Überfahrt beginnt mit den obligatorischen Kreuzseen, einem neugierigen Hai und der Aussicht auf eine Vollmondnacht erster Güte…

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Aussichtspunkt im Jamaikanischen Nebelwald

 

Kommentare

  1. Herminio Redondo García

    Wie ich schon sagte: ein toller Bericht! (Man segelt und reist ein bißchen mit beim Lesen!)

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  2. Stephan H.

    hi Gerlinde, hi Gunther!
    ihr zeit-wärtser, zeit ischs worden… für das grosse abenteuer. anders lässt sich eure reise auf den spuren grosser entdecker wohl kaum nennen.
    euer blog liest sich ebenso spannend und begeisternd wie Hayerdahls Kontiki! kompliment und danke…
    wünsche euch weiterhin alles alles gute für eure fahrt und immer eine hand voll wasser unterm kiel eurer „Muoza“!
    alles liebe
    Stephan
    ps: erwarte schon Lothars bericht 😉

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  3. Brigitte Aschauer

    Danke auch, dass ich immer wieder mitreisen darf. So toll erzählt als währe man mit dabei. LG

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